- 1
- Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung und die Rückforderung von .
- 2
- Der am
1967 geborene Kläger, der seit 1996 wiederholt Mietzuschüsse nach dem
Wohngeldsondergesetz und dem Wohngeldgesetz bezogen hatte, stellte am 31. März
2003 einen Wohngeldwiederholungsantrag für die Zeit ab dem 1. April 2003. In diesem gab
er sein jährliches Einkommen aus Lohn bzw. Gehalt mit 2.711,00 und die
Werbungskosten mit 1.044,00 an. Auf eine Aufforderung des Beklagten vom 24. April
2003 zur Vorlage u.a. eines aktuellen Einkommensnachweises, Lohnstreifens oder eines
Arbeitsvertrages legte der Kläger eine Ablichtung seiner Lohnsteuerkarte für das Jahr
2002 vor, in der ein Bruttoarbeitslohn von 2.711,13 verzeichnet ist. Unter dem 22.
Mai 2003 und 19. Juni 2003 forderte der Beklagte den Kläger auf mitzuteilen, wie er
derzeit seinen Lebensunterhalt bestreite, und eventuelle vorhandene
Verdienstbescheinigungen aus dem laufenden Jahr vorzulegen. Der Kläger legte mit
Schreiben vom 16. Juni 2003 einen befristeten, ab dem 17. Juni 2003 wirksamen
Arbeitsvertrag mit der B. GmbH & Co. KG sowie eine an seinen Vermieter adressierte
handschriftliche Rechnung für eine Fußbodenreparatur in seiner Wohnung über einen
Betrag von 305,00 vor.
- 3
- Der Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 11. Juli 2003 (Rechenlauf-Datum 3.
Juli 2003) für den Zeitraum vom 1. April 2003 bis 30. September 2003 einen Mietzuschuss
in Höhe von monatlich 127,00 . Dabei legte er ein Jahreseinkommen aus sonstigen
Einkünften gemäß § 10 Abs. 2 WoGG von 6.953,76 zugrunde, das er durch eine
Einkommensschätzung nach sozialhilferechtlichen Grundsätzen ermittelte.
- 4
- Im Zusammenhang mit einem am 30. September 2003 gestellten Wiederholungsantrag sowie
einer Veränderungsmitteilung vom 2. Dezember 2003 legte der Kläger dem Beklagten u.a.
Gehaltsabrechnungen der B. GmbH & Co. KG vor, aus denen hervorgeht, dass er in den
Monaten Juli bis September 2003 jeweils ein 1.000,00 übersteigendes
steuerpflichtiges Bruttoeinkommen erzielt hatte.
- 5
- Mit Bescheid vom 6. Januar 2004 (Rechenlauf-Datum 17. Dezember 2003) erklärte der
Beklagte, dass "infolge der von Amts wegen / aufgrund Ihrer Mitteilung am bzw. vom
04.12.2003 vorgenommenen Überprüfung
der mit Rechenlaufdatum 03.07.2003 für die
Zeit vom 01.04.2003 bis zum 30.09.2003 erstellte Wohngeldbescheid hiermit ab dem
01.07.2003 auf der Grundlage von § 30 (5) WoGG i.V.m. § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X
insoweit aufgehoben" werde. Ab diesem Zeitpunkt stehe dem Kläger kein Wohngeld mehr
zu. Der Beklagte kündigte die Rückforderung der überzahlten Wohngeldbeträge an.
- 6
- Mit weiterem Bescheid vom 6. Januar 2004 erklärte der Beklagte nochmals die Aufhebung
des mit Rechenlauf-Datum 3. Juli 2003 erstellten Wohngeldbescheides gemäß § 30 Abs. 5
WoGG i.V.m. § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X mit Wirkung ab dem 1. Juli 2003. Zugleich
forderte er die überzahlten Wohngeldbeträge in Höhe von 381,00 gemäß § 50
Abs. 1 SGB X zurück und erklärte die Aufrechnung mit dem Wohngeldanspruch des Klägers
für die Monate Oktober bis Dezember 2003 in gleicher Höhe.
- 7
- Der Kläger erhob mit Schreiben vom 27. Januar 2004 Widerspruch. Es sei falsch,
Quartalszeiträume zu betrachten. Sein durchschnittlicher Bruttoverdienst habe in 2003 bei
430,00 pro Monat gelegen. Demnach bestehe ein Wohngeldanspruch über das ganze
Jahr.
- 8
- Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juni 2004 als
unbegründet zurück.
- 9
- Der Kläger hat am 12. Juli 2004 Klage erhoben. Er trägt vor, dass es zwar richtig sei,
dass die Einkommenshöhe bei den von ihm ausgeführten Tätigkeiten schwer zu schätzen
sei. Jedoch sei unter Zuhilfenahme statistischer Methoden und auf der Grundlage der
Einkommensbescheide der letzten zehn Jahre ein statistischer Durchschnitt ermittelbar. Es
sei für ihn im Sommer 2003 nicht ersichtlich gewesen, ob er 15 % mehr Einkommen erziele
als in vorangegangenen Zeiträumen. Diesen stünden aber auch höhere Arbeitskosten
gegenüber als in vorangegangenen Perioden, so dass sich für ihn keine Mitteilungspflicht
gegenüber der Wohngeldstelle ergeben habe, zumal abzusehen gewesen sei, dass die
Einkünfte nicht über einen längeren Zeitraum erzielbar gewesen seien.
- 10
- Der Kläger beantragt,
- 11
den Bescheid des Beklagten vom 6. Januar 2004
(Rechenlauf-Datum 17. Dezember 2003) sowie den weiteren Bescheid vom 6. Januar 2004, beide
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2004, aufzuheben.
- 12
- Der Beklagte beantragt,
- 13
die Klage abzuweisen.
- 14
- Er wiederholt und vertieft seine Ausführungen aus den angefochtenen Bescheiden.
- 15
- Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 13. Juni 2008 dem Einzelrichter zur
Entscheidung übertragen.
- 16
- Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, insbesondere des
Vorbringens der Beteiligten im Übrigen, wird auf die Gerichtsakte und den vom Beklagten
vorgelegten Verwaltungsvorgang (Beiakten I bis III) Bezug genommen. Diese Unterlagen haben
vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung wie der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
- 17
- Die zulässige Klage ist begründet.
- 18
- Sowohl der Wohngeldbescheid des Beklagten vom 6. Januar 2004 (Rechenlauf-Datum 17.
Dezember 2003) - mit dem der für die Zeit vom 1. April 2003 bis zum 30. September 2003
einen monatlichen Mietzuschuss von 127,00 gewährende Bescheid des Beklagten vom
11. Juli 2003 (Rechenlauf-Datum 3. Juli 2003) für die Zeit vom 1. Juli 2003 bis zum 30.
September 2003 aufgehoben und für diese Monate die Gewährung von Wohngeld abgelehnt
worden ist - als auch der weitere Bescheid des Beklagten vom 6. Januar 2004 - mit dem zum
einen (wohl im Sinne einer wiederholenden Verfügung) nochmals die Aufhebung des
Wohngeldbewilligungsbescheides vom 11. Juli 2003 (Rechenlauf-Datum 3. Juli 2003) mit
Wirkung vom 1. Juli 2003 erklärt und zum anderen der Betrag der zu erstattenden
überzahlten Wohngeldbeträge festgesetzt und eine Aufrechnung erklärt wurde -, beide in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2004, sind rechtswidrig und verletzen
den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung
[VwGO]).
- 19
- 1. a. Die vom Beklagten in den Bescheiden vom 6. Januar 2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2004 erklärte Aufhebung der früheren Wohnbewilligung
findet keine Rechtsgrundlage in der vorrangig in den Blick zu nehmenden Vorschrift des §
29 Abs. 3 Nr. 2 des Wohngeldgesetzes (WoGG). Nach § 29 Abs. 3 Nr. 2 WoGG ist, wenn sich
im laufenden Bewilligungszeitraum die Einnahmen so erhöht haben, dass sich dadurch das
Gesamteinkommen um mehr als 15 vom Hundert erhöht, über die Leistung von Wohngeld von
Amts wegen vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an, bei Änderungen im Laufe
eines Monates vom auf die Änderung der Verhältnisse folgenden nächsten Ersten eines
Monats neu zu entscheiden, wenn dies zu einem Wegfall oder zu einer Verringerung des
Wohngeldes führt.
- 20
- Diese Vorschrift vermag die hier in Rede stehende Entscheidung des Beklagten jedoch
deshalb im Ergebnis nicht als rechtmäßig zu stützen, weil die Bescheide vom 6. Januar
2004 nicht innerhalb des laufenden Bewilligungszeitraumes (der sich vom 1. April 2003 bis
zum 30. September 2003 erstreckte) - in dem sich nach der zutreffenden Auffassung des
Beklagten das zu berücksichtigende Einkommen des Klägers durch die von ihm aufgenommene
Beschäftigung um mehr als 15 vom Hundert erhöht hat - erlassen worden sind. Soweit in §
29 Abs. 3 Nr. 2 WoGG in der hier maßgeblichen Fassung vom laufenden Bewilligungszeitraum
die Rede ist, ist dies in Anbetracht dessen, dass grundsätzlich jede Änderung im Sinne
dieser Vorschrift in einen laufenden Bewilligungszeitraum fällt - mit der Folge, dass es
insoweit keiner ausdrücklichen Erwähnung des laufenden Bewilligungszeitraumes bedürfte
-, dahingehend zu verstehen, dass sich der laufende Bewilligungszeitraum (vor allem auch)
auf die von der Behörde vorzunehmende Neuentscheidung über die Gewährung von Wohngeld
bezieht. § 29 Abs. 3 WoGG sieht in der hier maßgeblichen Fassung einen Eingriff in
bereits abgeschlossene Bewilligungszeiträume nicht vor (vgl. BVerwG, Urt. v. 21. März
2002 - 5 C 4.01 -, BVerwGE 116, 161; Urt. der Kammer v. 29. September 2005 - 5 K 2300/00
-).
- 21
- An dieser Bewertung ändert auch die zum 1. Januar 2001 in Kraft getretene Änderung des
§ 29 Abs. 4 WoGG nichts. Diese Vorschrift wurde durch das Gesetz zur Änderung des
Wohngeldgesetzes und anderer Gesetze vom 22. Dezember 1999 (BGBl. I S. 2671) mit Wirkung
zum 1. Januar 2001 um einen neuen Satz 3 ergänzt, nach dem der Wohngeldempfänger
Einnahmeerhöhungen im Sinne des § 29 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 WoGG grundsätzlich auch dann
mitzuteilen hat, wenn sich die (Einnahme-)Änderungen auf einen abgelaufenen
Bewilligungszeitraum beziehen. Indes rechtfertigt die Einführung des § 29 Abs. 4 S. 3
WoGG allein es nicht, § 29 Abs. 3 WoGG in Fällen der vorliegenden Art entgegen der bis
zu seiner Einführung geltenden Rechtslage abweichend auszulegen (diese Frage offen
gelassen in BVerwG, Urt. v. 21. März 2002 - 5 C 4.01 -, BVerwGE 116, 161), denn die in §
29 Abs. 4 WoGG getroffene Regelung betrifft ihrem Wortlaut nach allein die einen
Wohngeldempfänger treffenden Mitteilungspflichten, enthält jedoch ihrerseits keine
Ermächtigung für die Aufhebung einer Wohngeldbewilligung. Zwar erscheint eine
Mitteilungspflicht für auf einen abgelaufenen Bewilligungszeitraum bezogene
Einkommenserhöhungen nur bedingt sinnvoll, solange hieran nicht die Folge einer
rückwirkenden Neuberechnung des Wohngeldes geknüpft werden kann, so dass manches dafür
spricht, dass der Gesetzgeber durch die Einführung des § 29 Abs. 4 S. 3 WoGG zum
Ausdruck bringen wollte, dass er einen rückwirkenden Eingriff in abgelaufene
Bewilligungszeiträume für zulässig hält. Gleichwohl hat es der Gesetzgeber versäumt,
hinreichend klarzustellen, dass (nunmehr) auch eine Neuberechnung für abgelaufene
Bewilligungszeiträume zulässig sein soll. Denn er hat die unmittelbare
Eingriffsermächtigung für eine Aufhebung in § 29 Abs. 3 WoGG in seinem Wortlaut
unverändert gelassen, die - wie oben dargelegt - eine solche rückwirkende Neuberechnung
gerade nicht zulässt. Im Gegenteil wird gerade durch den im neu eingefügten § 29 Abs. 4
S. 3 WoGG verwandten Begriff des "abgelaufenen Bewilligungszeitraums" noch
augenfälliger, dass die in § 29 Abs. 3 WoGG enthaltene Regelung sich ausschließlich auf
Einnahmeerhöhungen im "laufenden Bewilligungszeitraum" bezieht (vgl. VG
Arnsberg, Urt. v. 9. Dezember 2005 - 12 K 235/05 -, zitiert nach juris).
- 22
- Die Änderungen, die die Vorschrift des § 29 Abs. 3 WoGG durch den am 1. Januar 2004 in
Kraft getretenen Art. 25 Nr. 9 des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am
Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2954, 2985) gefunden hat, finden vorliegend
keine Anwendung. Durch diese Norm wurde § 29 Abs. 3 WoGG um die folgenden Sätze 2 und 3
erweitert: Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt im Falle des Satzes 1 Nr. 1
der Beginn des Zeitraumes, für den sich die Miete oder Belastung verringert hat, im Falle
des Satzes 1 Nr. 2 der Beginn des Zeitraumes, für den sich die Einnahmen erhöht haben.
Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend, wenn sich die Änderungen nach Satz 1 auf einen
abgelaufenen Bewilligungszeitraum beziehen, längstens für drei Jahre vor Kenntnis des
Wohngeldempfängers oder der zum Haushalt rechnenden Familienmitglieder von der Änderung
der Verhältnisse; der Kenntnis steht die Nichtkenntnis infolge grober Fahrlässigkeit
gleich.
- 23
- Diese Neuregelung ist aufgrund der Überleitungsvorschrift des § 40 Abs. 3 WoGG nicht
heranzuziehen. Nach dieser Bestimmung verbleibt es in Fällen, in denen vor Inkrafttreten
von Vorschriften, die das Wohngeldgesetz ändern, über einen Antrag auf Wohngeld
entschieden wurde, für die Gewährung des Wohngeldes aufgrund dieses Antrages bei der
Anwendung des jeweils bis zur Entscheidung geltenden Rechts. Diese Regelung ist ohne
Einschränkung auch auf die Fälle anwendbar, in denen die Wohngeldbehörde aufgrund einer
zur Verringerung oder zum Wegfall des Wohngeldanspruches führenden Änderung der
Einkommensverhältnisse über die Leistung von Wohngeld nach § 29 Abs. 3 WoGG neu zu
entscheiden hat.
- 24
- Über den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Wohngeld vom 31. März 2003 ist durch
Bescheid des Beklagten vom 11. Juli 2003 (Rechenlauf-Datum 3. Juli 2003) für die Zeit von
April 2003 bis September 2003 entschieden worden. § 29 Abs. 3 S. 2 WoGG ist zum 1. Januar
2004, also nach Ende des Bewilligungszeitraums in Kraft getreten. Über den genannten
Antrag ist mithin nach den zum 11. Juli 2003 geltenden Rechtsvorschriften zu entscheiden.
Denn § 40 Abs. 3 WoGG stellt auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung über
einen Wohngeldantrag ab, nicht darauf, für welchen Zeitraum er Regelungen enthält. Sinn
einer Überleitungsvorschrift wie § 40 Abs. 3 WoGG ist die von der Anwendbarkeit des
geltenden Rechts abweichende Fortgeltung überholten Rechts. Dabei sind Überschneidungen
mit und Widersprüche zum geltenden Recht für einen Übergangszeitraum in Kauf genommen.
Daneben findet die Übergangsvorschrift nicht nur auf die ursprüngliche Entscheidung
über die Bewilligung von Wohngeld Anwendung, sondern auch auf nachträgliche
Änderungsentscheidungen, die, wie hier, rückwirkend erlassen werden. Denn auch die
Änderungsentscheidung ist eine Entscheidung des Beklagten über den Antrag des Klägers,
die auf den Entscheidungszeitpunkt 11. Juli 2003 zurückwirkt (vgl. VG Göttingen, Urt. v.
22. Februar 2007 - 2 A 202/05 -, zitiert nach juris; VG Arnsberg, Urt. v. 9. Dezember 2005
- 12 K 235/05 -, zitiert nach juris). Aus dem Umstand, dass mit der aus § 29 Abs. 3 WoGG
folgenden Verpflichtung zur Neuentscheidung auch die Befugnis einhergeht, die frühere
Wohngeldbewilligung aufzuheben, soweit sie der neuen Entscheidung entgegensteht (vgl. Urt.
der Kammer v. 29. September 2005 - 5 K 2300/00 -), folgt letztlich nichts anderes. Dagegen
spricht auch nicht der Wortlaut des § 40 Abs. 3 WoGG, der nur auf die "Gewährung
des Wohngeldes" abstellt. Denn die Aufhebung vorhergehender Wohngeldfestsetzungen ist
lediglich Annex der zwingend durch das Gesetz angeordneten, von Amts wegen
durchzuführenden Neuentscheidung über den Wohngeldanspruch und dient nur dazu, das
parallele Bestehen einander widersprechender Wohngeldbewilligungen für denselben Zeitraum
zu verhindern. Sie kann daher nicht weitergehen als die Neufestsetzung des Wohngeldes,
kann aber auch nicht hinter dieser zurückbleiben (vgl. Urt. der Kammer v. 24. Oktober
2005 - 5 K 232/04 -).
- 25
- Ein weiterer Gesichtspunkt spricht gegen eine Anwendung der ab dem 1. Januar 2004
geltenden Neuregelung des § 29 Abs. 3 WoGG auf Fälle wie den vorliegenden. Dies würde
nämlich zu einer unzulässigen Rückwirkung der neugefassten Bestimmung auf vergangene
Sachverhalte führen.
- 26
- Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist zwischen echter und unechter
Rückwirkung bzw. zwischen einer Rückbewirkung von Rechtsfolgen und der tatbestandlichen
Rückanknüpfung zu unterscheiden. Eine echte Rückwirkung bzw. Rückbewirkung einer
Rechtsfolge liegt vor, wenn das belastende Gesetz sich nachträglich auf bereits
abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Sachverhalte auswirkt. Wird hingegen zwar
nicht auf vergangene, aber auch nicht nur auf zukünftige Rechtsbeziehungen eingewirkt,
sondern auf gegenwärtige, in der Vergangenheit noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und
Rechtsbeziehungen für die Zukunft und damit zugleich die betroffene Rechtsposition
nachträglich im Ganzen entwertet, handelt es sich um eine unechte Rückwirkung bzw.
tatbestandliche Rückanknüpfung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23. März 1971 - 2 BvL 2/66 u.a.
-, BVerfGE 30, 367; BVerfG, Beschl. v. 14. Mai 1986 - 2 BvL 2/83 -, BVerfGE 72, 200;
BVerfG, Beschl. v. 11. Oktober 1988 - 1 BvR 743/86, 1 BvL 80/86 -, BVerfGE 79, 29). Wollte
man auf den vorliegenden Fall § 29 Abs. 3 WoGG in der ab dem 1. Januar 2004 geltenden
Fassung - insbesondere den neu eingefügten Satz 3, der eine Neuentscheidung für bereits
abgeschlossene Bewilligungszeiträume ausdrücklich zulässt - anwenden, würde es sich um
eine echte Rückwirkung dieser neugefassten Norm handeln. Denn wie bereits dargelegt, war
nach der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung des § 29 Abs. 3 WoGG ein Eingriff in
bereits abgelaufene Bewilligungszeiträume durch eine Neuentscheidung unter
Berücksichtigung nachträglich bekannt gewordener Informationen über ein höheres
Einkommen des Wohngeldempfängers unzulässig. Mit Ablauf des 30. September 2003 - des
letzten Tages des im Bescheid vom 11. Juli 2003 (Rechenlauf-Datum 3. Juli 2003) genannten
Bewilligungszeitraumes - handelte es sich bei der Gewährung von Wohngeld für den
Zeitraum vom 1. April 2003 bis 30. September 2003 demnach um einen abgeschlossenen
Sachverhalt im Sinne der vorgenannten Grundsätze zur Rückwirkung.
- 27
- Die echte Rückwirkung ist jedoch nur ausnahmsweise zulässig, wenn das Vertrauen des
Betroffenen auf eine bestimmte Rechtslage nicht schutzwürdig, weil sachlich nicht
gerechtfertigt ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Bürger nach der rechtlichen
Situation in dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge vom Gesetz zurückbezogen
wird, mit dieser Regelung rechnen musste; wenn das geltende Recht unklar und verworren
ist, so dass ein Klärung zu erwarten ist; wenn eine nichtige Bestimmung rückwirkend
durch eine rechtlich nicht zu beanstandende Norm ersetzt werden soll; wenn durch die
Rückwirkung kein oder nur ganz unerheblicher Schaden verursacht worden wäre oder wenn
zwingende Gründe des gemeinen Wohls, die dem Gebot der Rechtssicherheit übergeordnet
sind, eine Rückwirkungsanordnung rechtfertigen (vgl. BVerfG, Urt. v. 19. Dezember 1961 -
2 BvL 6/59 -, BVerfGE 13, 261; BVerfG, Beschl. v. 23. März 1971 - 2 BvL 2/66 u.a. -,
BVerfGE 30, 367).
- 28
- Anhaltspunkte dafür, dass hier ein den Vertrauensschutz wie vorstehend beschrieben
ausschließender Sachverhalt gegeben ist, sind nicht ersichtlich. Insbesondere kann -
entgegen einer teilweise in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung (vgl. VG
Braunschweig, Urt. v. 11.Juli 2006 - 3 A 102/06 -, zitiert nach juris; VG Oldenburg
(Oldenburg), Urt. v. 45. Dezember 2006 - 13 A 831/06 -, zitiert nach juris) - nicht von
einer so unklaren und verworrenen Rechtslage ausgegangen werden, dass die Betroffenen in
dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge vom Gesetz zurückbezogen wird, mit
dieser Regelung rechnen musste. Von einer solchen Sachlage kann allein bei einer zwar
klärungsbedürftigen und durch die Rechtsprechung klärbaren, jedoch noch nicht
beantworteten Rechtsfrage - wie es die Reichweite des § 29 Abs. 3 WoGG in der Folge der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und nach den Änderungen durch das Gesetz zur
Änderung des Wohngeldgesetzes und anderer Gesetze vom 22. Dezember 1999 (BGBl. I S. 2671)
betraf - indes nicht die Rede sein. Andernfalls würde dieser Ausnahmetatbestand eine
(angesichts der zahlreichen sich in verschiedensten Rechtsgebieten stellenden
Auslegungsprobleme nahezu uferlose) Reichweite erlangen, der mit den Grundgedanken der
Maßstäbe zur Rückwirkung von Gesetzen, wie sie vom Bundesverfassungsgericht entwickelt
wurden, nicht vereinbar wäre.
- 29
- b. Auch die Vorschrift des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch -
Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X), auf die der Beklagte nach seinen
Ausführungen die angefochtenen Bescheide (auch) gestützt hatte, stellt keine taugliche
Ermächtigungsgrundlage für die streitige teilweise Aufhebung der im Bescheid vom 11.
Juli 2003 (Rechenlauf-Datum 3. Juli 2003) erfolgten Bewilligung von Wohngeld dar.
- 30
- Zwar vermag § 48 SGB X im Grundsatz eine rückwirkende Aufhebung eines begünstigenden
Verwaltungsaktes zu rechtfertigen, sie findet aber in Fällen der vorliegenden Art keine
Anwendung. Denn einer rückwirkenden Aufhebung einer Wohngeldbewilligung auf der Grundlage
des § 48 SGB X steht der abschließende Charakter der wohngeldrechtlichen Regelungen in
den §§ 29 und 30 WoGG entgegen. Für das Wohngeldgesetz als einem besonderen Teil des
Sozialgesetzbuchs gelten nach § 37 S. 1 des Sozialgesetzbuches Erstes Buch - Allgemeiner
Teil (SGB I) das Erste und Zehnte Buch des Sozialgesetzbuches, "soweit sich aus den
übrigen Büchern nichts Abweichendes ergibt". Die §§ 29 und 30 WoGG enthalten
abweichende Regelungen in diesem Sinne, und zwar sowohl für abgelaufene als auch für
noch laufende Wohngeldbewilligungszeiträume (vgl. BVerwG, Urt. v. 21. März 2002 - 5 C
4.01 -, BVerwGE 116, 161).
- 31
- Auch insoweit ändert die zum 1. Januar 2001 in Kraft getretene Änderung des § 29 Abs.
4 WoGG an dieser Bewertung nichts. Zwar hatte das Bundesverwaltungsgericht in dem bereits
mehrfach zitierten Urteil vom 21. März 2002 - 5 C 4.01 - (BVerwGE 116, 161) offen
gelassen, ob mit diesen Änderungen über den Wortlaut des § 29 Abs. 3 WoGG hinaus eine
Überprüfung und Neubescheidung auch für abgelaufene Bewilligungszeiträume ermöglicht
werden soll oder als bereits möglich vorausgesetzt wird und ob dies ausreicht, um unter
Berücksichtigung des § 30 Abs. 5 WoGG eine geänderte Gesetzesauslegung im Sinne einer
rückwirkenden Neuberechnung und Neufestsetzung des Wohngeldes auf der Grundlage des § 48
SGB X zu rechtfertigen.
- 32
- Jedoch genügt die Einführung des § 29 Abs. 4 S. 3 WoGG allein nicht, entgegen der bis
dahin geltenden Rechtslage § 29 Abs. 3 WoGG für nicht (mehr) abschließend und einen
Rückgriff auf § 48 SGB X für zulässig zu halten. Denn wie oben bereits dargelegt, hat
die Ergänzung des § 29 Abs. 4 WoGG zu keiner Änderung der Auslegung des § 29 Abs. 3
WoGG geführt. Unter weiterer Berücksichtigung der ausdrücklichen Anordnung in § 30
Abs. 5 WoGG, nach der sich der Anspruch auf Wohngeld wegen anderer als der in den § 29
und § 30 WoGG genannten Umstände nicht ändert, sowie dem in § 31 SGB I enthaltenen
Vorbehalt des Gesetzes, der an eine gesetzliche Eingriffsermächtigung zur rückwirkenden
Aufhebung einer Leistungsbewilligung und zur Heranziehung zur Leistungserstattung
Anforderungen an die Normenbestimmtheit und -klarheit stellt, ist daher ein Rückgriff auf
§ 48 SGB X nach der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Rechtslage auch unter
Berücksichtigung des im Januar 2001 eingefügten § 29 Abs. 4 S. 3 WoGG weiterhin
unzulässig (vgl. VG Arnsberg, Urt. v. 9. Dezember 2005 - 12 K 235/05 -, zitiert nach
juris).
- 33
- c. Die Aufhebung der früheren Wohngeldbewilligung kann schließlich auch nicht auf die
- vom Beklagten in den Ausgangsbescheiden vom 6. Januar 2004 aufgeführte - Vorschrift des
§ 30 Abs. 5 WoGG gestützt werden. Schon der Wortlaut der Norm, wonach sich der Anspruch
auf Wohngeld wegen anderer als der in § 29 WoGG und in § 30 Abs. 1 bis 3 WoGG genannten
Umstände nicht ändert, taugt als Ermächtigungsgrundlage für eine
Wohngeldneufestsetzung und damit einhergehend die rückwirkende Aufhebung einer bisherigen
Wohngeldbewilligung ersichtlich nicht.
- 34
- 2. Ist der Beklagte demnach auf der Grundlage von § 29 Abs. 3 Nr. 2 WoGG nicht
berechtigt gewesen, mit dem Bescheid vom 6. Januar 2004 (Rechenlauf-Datum 17. Dezember
2003) und dem weiteren Bescheid vom 6. Januar 2004 die Wohngeldbewilligung im Bescheid vom
11. Juli 2003 (Rechenlauf-Datum 3. Juli 2003) mit Wirkung vom 1. Juli 2003 aufzuheben und
die Gewährung von Wohngeld zu versagen, so ist es für die Monate Juli 2003 bis September
2003 nicht zu einer Überzahlung von Wohngeld in Höhe von insgesamt 381,00
gekommen. Die mit Bescheid vom 6. Januar 2004 vom Beklagten geltend gemachte
Rückforderung in Höhe von 381,00 ist rechtswidrig, weil die Voraussetzungen des
insoweit maßgeblichen § 50 Abs. 1 S. 1 SGB X - wonach, soweit ein Verwaltungsakt
aufgehoben worden ist, bereits erbrachte Leistungen zu erstatten sind - nicht gegeben
sind. Damit ist letztlich auch die vom Beklagten vorgenommene Aufrechnung von 381,00
mit dem Wohngeldanspruch des Klägers für nachfolgende Monate rechtswidrig.
- 35
- 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
- 36
- Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m.
§ 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
- 37
- Beschluss
- 38
- Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes auf 381,00
festgesetzt.
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